Steuern und Abgaben auf Buchstaben?

Natürlich ist das Quatsch, völlig aus der Luft geholt. Aber: Stellen wir uns doch einmal vor, dass jemand ‒ der Staat oder ein multinationales Unternehmen ‒ würde Gebühren auf Buchstaben erheben. Jedes Mal wenn wir am Computer ein »a« tippen, wird ein winziger Betrag fällig. Nicht viel, aber bei jedem Klick auf der Tastatur.

Mit etwas mehr Fantasie könnte man die häufigeren Buchstaben wie »e« mit anderen Kosten belegen als vergleichsweise seltene Buchstaben wie »Ü«. Der Buchstabengebrauch könnte automatisch erfasst, und die Abgaben am Ende jedes Monats vom Benutzerkonto abgebucht werden.

Absurd? ‒ Keineswegs!

Buchstaben, Schriftzeichen sind Kulturgut und gehören uns allen, so wie die Luft zum Atmen oder lebensnotwendiges Wasser?

Aber langsam!

Wir zahlen doch schon für Wasser, sauberes Trinkwasser oder Wasser zur Bewässerung von Feldkulturen.

Wenn wir diesen Gedanken weiterführen, so werden wir sehen, dass viele Gesellschaften das Land und das Meer als gemeinsames Gut ansahen, das daher nicht ge- oder verkauft, oder besessen werden konnten. Diese Vorstellung ist nicht die absurde Auffassung irgendwelcher primitiver Naturvölker (wie z.B.  in Teilen von Papua üblich), sondern sind dokumentierte Vorschläge gebildeter Menschen (siehe Quellen unten), die eine andere, eine bessere Gesellschaftsordnung anstrebten. Zum Beispiel begründet der französische Schriftsteller Charles Fourier in »La Fausse Industrie« (1835), dass das Verbot fundamentaler Naturrechte – wie das Jagen, Fischen, Früchte sammeln oder das Vieh auf dem Gemeinschaftsbesitz zu weiden – darauf hindeutet, dass die »Zivilisation« jedem, der keine Möglichkeit hat, seine Bedürfnisse zu decken, einen Lebensunterhalt schuldet.

Auf dem Niveau der Gemeinde (Dorf, Stadt) sprach man von gemeinsamen Nutzungsrechten, die versteigert werden könnten, wobei der Erlös der Versteigerung der Gemeinschaft zugutekommen sollte. Aspekte dieser Auffassung finden sich noch in verschiedenen Waldgesetzen, die ‒ je nach Region ‒ eine gemeinschaftliche Nutzung der Wäldereien anmahnten oder sogar in der Bayerischen Verfassung, die in Artikel 141, Abs. 3, in fast sozialistischem Ton schreibt: »Staat und Gemeinde sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechts freizumachen …«. Wow, Einschränkung des Eigentumsrechtes ‒ das würde man eher den Linken als der CSU zutrauen. Diese Verfassung trat am 8. Dezember 1946 in Kraft, ist also nicht ein Traumgebilde weltfremder Denker aus vergangenen Jahrhunderten, sondern moderne Geschichte. Im gleichen Sinne, nur allgemeiner formuliert, besagt das deutsche Grundgesetz Artikel 14, Abs. 2: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Es wäre sicher wert, darüber nachzudenken, ob dieser Artikel auch für Eigentum an Kapital gilt.

Anders die Conquista, Kolonisation oder euphemisch »Befreiung« fremder Länder und Kontinente, die im 17. und 18. Jahrhundert ihren brutalen Höhepunkt erreichte und mit gestohlenen Waren, Produkten und Schätzen großen Reichtum bei den Kolonisatoren  anhäufte. Die Europäer eigneten sich einfach große Teile der Welt an, plünderten sie aus und zehren bis heute von dem gestohlenen Wohlstand.

Warum? Weil sie es konnten!

Die Kolonisatoren, die Besatzer, hatten die größeren Kanonen, die schärferen Schwerter und die besseren Gewehre. Die, die vorher dort auf »ihrem« ureigenen Land gelebt hatten, wurden abschätzig als Locals oder Eingeborene bezeichnet, wurden vertrieben oder einfach gleich umgebracht. Das jetzt »befreite« oder jetzt »zivilisierte« Land wurde dem »Eigentum der Krone« zugerechnet oder ganz einfach als »God’s own Country« vergesellschaftet an dem sich jeder bedienen konnte, solange der Vorrat reichte. »This land is your land, this land is my land …«

In ähnlicher Weise wurde mit dem Seerecht verfahren. Ursprünglich wurde ein Streifen entlang der Küste beansprucht, etwa so breit wie damals die Kanonen weit schießen konnten. Außerhalb dieser Zone galt anfangs ein Gewohnheitsrecht und jetzt, kodifiziert, das internationale Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982. Dann dehnten die Länder ihre Ansprüche weiter aus. Wirtschaftszonen wurden eingerichtet, Fischereizonen ausgehandelt, Vereinbarungen über Bodenschätze (Öl, Gas, Manganknollen, etc.) getroffen, ‒ kurz, man einigte sich irgendwie über die Ausbeutung der Gebiete, aber nicht über deren (?Wert-)Erhalt. Abwasser, Plastikmüll wurden eingebracht, Gift verklappt. Gemeinsames Eigentum wird zum Profit einzelner Länder (als Lizenzgeber) ausgebeutet, jedoch wird die willentliche Zerstörung von Landschaft und biologischem Habitat in Kauf genommen.

Kehren wir zum Kern unserer Betrachtung zurück:

Worauf kann man ein Eigentums- oder Besitzrecht beanspruchen (und worauf nicht)? Worauf begründet sich dieses Recht?

  • Menschen? ‒ das war bis vor etwas mehr als hundert Jahren geübte Praxis und wurde wenig hinterfragt. Aber war es richtig? Auch heute gibt es Strukturen, die die Sklavenhalterei perpetuieren. Noch furchtbarer: Manche Regierungen schlachten Menschen per Todesstrafe und verkaufen ihre Organe zur Transplantation.
  • Pflanzen und Tiere (als Individuen oder deren Genom)?
  • Buchstaben, Wörter, Schrift, Sprache?
  • Leerer, unbewohnter Raum (Antarktis, Mondoberfläche, Teile des Weltraums)?

Was soll das ?


Quellen:

Fourier, C., 1835. La fausse industrie, morcellée, répugnante, mensongère, et l’antidote, l’industrie naturelle, combinée, attrayante, véridique, donnant quadruple produit et perfection extrême en toute qualité. Bossange, père, Paris, rue St-Pierre, Montmartre, no.6

Paine, T., Spence, T., 2008 (reprint). On land ownership, land taxes and the provision of citizens’ dividend (1796). International Journal of Social Economics 35, 313–325.

Spence, T., 1797. The Rights of Infants ‒, 1st ed, Paine’s Agrarian Justice. Printed for the Author, London, No. 9, OXFORD-STREET, lately removed from No. 8, Little Turnstile. 1797.