Dumm gelaufen

Jetzt ist schon vier Wochen Krieg in Europa, dabei hätte es doch so schön werden können. Ich hatte fest geglaubt, ja möchte es immer noch glauben wollen, dass wir in Europa und Russland doch eigentlich ganz gut zusammen, nebeneinander, miteinander auskommen könnten. Wäre das noch paradiesisch schön? Alles wird gut (mehr am Ende, also weiterlesen).

Aber nein, Russlands Putin hat ein friedliches Land angegriffen, genauer, Putin hetzte seine Truppen in ein unabhängiges Land, mit Argumenten, Ausreden, die seit Hitler nicht mehr gebraucht wurden: »Das Land gehörte schon immer zu uns«, oder »wir sprechen die gleiche Sprache«. So ist die verquere Logik mit der Putin seine Aggression rechtfertigen will, und dann noch absurder: »deswegen müssen wir Krieg führen, Zivilisten totschießen«.

Es geht auch ohne Gewalt

Spätestens seit dem 2.Wk ist die Welt reich an Beispielen von Ländern, ethnischen Minderheiten oder Volksgruppen, die sich ohne Streiterei getrennt oder Seiten gewechselt haben (Elsass, Saarland, Tschechoslowakei, Singapur), trennen wollen (Schottland, Katalonien, Korsika) und ethnischen Minderheiten, die in ihrem Gebiet Sonderrechte erstritten haben (Südtirol, Oberschlesien). Es geht also ohne Gewalt. Gewaltsame Trennungen und Neuordnungen wie im Kosovo oder Indien/Pakistan belegen ja nicht, dass Gewalt der einzig mögliche Weg ist, sondern zeigen, ganz im Gegenteil, dass Gewalt immer die schlechteste aller Lösungen ist.

Position beziehen

Deutschland möchte sich ja – ach so gerne – auf die Seite der angegriffenen Ukraine stellen, hat dafür aber nicht die Eier in der Hose, weil das Land in jeder Hinsicht schlechtmöglichst vorbereitet ist. Es sei dahingestellt, ob Deutschland wegen seiner Kriegsverbrechen (z.B. Babyn Jar) im 2.Wk eine moralische Verpflichtung zur Hilfe hat, oder ob die Ukraine – wie Putin behauptet – eine Nazi-Affinitat hätte, weil die vorrückende Wehrmacht von der Bevölkerung z.T. freundlich begrüßt wurde, kein Wunder, nachdem Stalin die Ukraine zuvor in brutalster Weise ausgehungert hatte.

Ja, ein Embargo, ein paar Einschränkungen für den Kapitalverkehr der Oligarchen, die so schwer wiegen, wie ein Zettelchen vom Gerichtsvollzieher an der Tür zum Anwesen: »Sie dürfen ihre Villa und ihren Rolls nicht verkaufen – aber sie können einstweilen noch drin wohnen bzw damit herumfahren.« Und: »Sie können die Entscheidung ja noch beim Gericht anfechten.« Alles nicht so schlimm.

Militärisches Eingreifen?

Die Politiker aller Nato-Länder (außer vielleicht Polen) freuen sich klammheimlich, dass die Ukraine (wie auch Schweden und Finnland) kein Mitglied der Nato ist und daher ein Angriff auf die Ukraine nicht den Bündnisfall darstellt, eine Situation, in der alle Staaten des Verteidigungspaktes dem Angegriffenen zur Hilfe kommen müssten. Es ist eine bequeme Position, aus der sich vom sicheren Sofa herunter proklamieren lässt, was da passieren sollte. Denn eine militärische Einmischung, wenn sie denn überhaupt ein klar definiertes Ziel hätte, würde mit großer Wahrscheinlichkeit zur Eskalation führen: Regionale Ausweitung, Atomwaffen, nukleares Armageddon, eine Situation die niemand wirklich wollen kann. Dabei ist es unerheblich, ob Russland mit seinen neuen Hyperschallraketen oder S300/400 Luftabwehrraketen die Oberhand hat oder nur so tut. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Atomkrieg nicht gewinnbar ist, denn in einem solchen Gemetzel gibt es nur Verlierer.

Also reden die Anführer der westlichen Welt von Beistand und Solidarität, schicken ein bisschen Geld oder Waffen (auch altes Zeug) und freuen sich, dass sie – zunächst? – nichts damit zu tun haben. Der ukrainische Präsident Zelensky bittet und bettelt im westlichen Ausland, medienwirksam und zu Recht, um militärische und wirtschaftliche Hilfe.

Die Sache mit dem Gas

Aber die bisschen Sanktionen reichen nicht an die Substanz heran, man spricht einfach nicht von dem »Elefanten im Zimmer«, denn die deutschen Politik-Beamten würden vielleicht nicht wiedergewählt: »Frieren für Frieden« (fff – in der Musik forte-fortissimo), das geht am Keinsten (ja, ja ich weiss, die Grammatik).

Die Realität, der sich niemand stellen will: Deutschland kauft – grob gesagt – etwa die Hälfte des nationalen Energieverbrauchs (als Öl und Gas) in Russland ein und überweist dafür ganz brav jeden Monat hunderte Millionen Euro (manche Quellen  sagen fast eine Milliarde) nach Russland, womit Putin seinen – zunächst noch beschränkten – Krieg sehr gut finanzieren kann und ein paar Söldner aus Syrien als Kanonenfutter (versprochen US$ 7,000 im Monat, aber ohne Rentenanspruch) anheuern. Zum Vergleich: In Afghanistan verbrauchten die Amerikaner in Spitzenzeiten, 2012/2013, etwa 100 Milliarden im Jahr für eine logistisch aufwendigere Operation, also durchaus eine vergleichbare Summe. Die allerneuesten Nachrichten (23.März 22) berichten, dass Russland seine Energielieferungen jetzt mit russischen Rubeln bezahlt haben will. Der Käufer müsste dann seine Währung bei der russischen Staatsbank in Rubel konvertieren und würde so den Rubel und die russische Wirtschaft stärken, – genau das Gegenteil von dem, was die Sanktionen erreichen sollten.

Ja, man könnte (Konjunktiv!) Energie auch woanders einkaufen (in Qatar oder US-shale gas) oder auf Erneuerbare umstellen – nur geht das eben nicht in fünf Wochen und kostet auch viel mehr als das Russengas, von der größeren Umweltbelastung ganz zu schweigen. Ach, wir haben da doch noch strategische Reserven in den Gasspeichern in Norddeutschland. Toll. Nur leider sind die Speicher jetzt im Frühjahr fast leer und – noch schlimmer – gehören mehrheitlich der russischen Gasprom. Dumm gelaufen!

Also wie jetzt? Frieren für die Ukraine, die schönen Arbeitsplätze, die jetzt auf der Kippe stehen, und jetzt gibt es auch noch kein Sonnenblumenöl aus der Ukraine mehr für die Veganer der Republik. Dabei hätte der Sommer 2022, nach Corona so schön werden können.

Gut ausgedacht

Man muss es dem Fuchs Putin schon lassen, wie gut und langfristig er sich das alles zurechtgelegt und dann zielstrebig ausgebaut hat. Ich frage mich inzwischen, ob Putins Rede im Bundestag (2001) nur eine Propagandaveranstaltung war, die Stimme eines bösen Wolfes, der Kreide gefressen hatte? Er hat erst mal ein paar Testkriege, Georgien, Transnistrien, angefangen, um zu herauszufinden, wie und ab welchem Level der Westen darauf reagiert. Dann etwas dreister: Die Krim annektiert und dann die russischsprachigen Gebiete um Donezk und Luhansk militärisch infiltriert. Kurzum, er hat ausprobiert, wie weit der Bär den westlichen Drachen kitzeln kann, ohne dass er aufwacht.

Selbst der Zeitpunkt des Angriffskrieges war sorgsam gewählt. Seine neuen Waffen sind fertig entwickelt und wurden auf Militärparaden der Welt als Drohung gezeigt, während der modernste Flieger des Westens, die F35, immer noch Macken hat und besser nicht so oft benutzt werden sollte, weil die Flugstunden zu teuer sind, und der Vogel schnell kaputtgeht. Zeitlich fällt Putins Angriff auf die Ukraine in die Zeit, in der sich Amerika und Partner (u.a. Deutschland) aus Afghanistan zurückgezogen hatten. »Bring our boys home!« Krieg in fernen Ländern ist zur Zeit nicht populär. 

Der Ausweg

Also wie weiter? Welcher Weg führt zum Frieden?

  • Alle Beteiligten haben »Interessen«, egal ob diese berechtigt sind oder nicht. Kuba, oder auch Nicaragua sind unabhängige, freie Staaten (wie die Ukraine), und dennoch vertritt Amerika dort gewisse »Interessen«, denn die USA gehen davon aus, dass diese Länder in ihrer geografischen Nähe die »Sicherheit« ihres Landes tangieren könnten. Das ist zwar nicht berechtigt, aber dennoch nachvollziehbar.
  • In gleicher Weise ist es verständlich, dass Russland die Osterweiterung der Nato als Bedrohung empfindet und die Situation propagandistisch entsprechend ausschlachtet (übrigens, ähnlich wie Hitler, der auch eine »Bedrohung« empfand).
  • Historischen Tatsachen nähren die (falsche) Vorstellung, dass die Krim-Halbinsel irgendwie zu Russland gehört.

Beide Positionen, so richtig oder falsch sie sein mögen, sind nachvollziehbar. Wenn man sich doch wenigstens gegenseitig glauben könnte. Man bräuchte wieder vertrauensbildende Maßnahmen. Ja, das hat es schon mal gegeben, die KSZE-Konferenz in Helsinki im Jahre 1973. Die Helsinki-Konferenz war ein Tauschgeschäft: Für den Ostblock brachte sie die Anerkennung der Grenzen der Nachkriegsordnung und einen »stärkeren wirtschaftlichen Austausch« (sic!) mit dem Westen. Im Gegenzug machte der Osten Zugeständnisse bei den Menschenrechten. Trotz aller Schwierigkeiten und Missverständnissen hat die Helsinki-Konferenz eine gewisse Entspannung gebracht, einen Weg aufgezeigt, einen historischen Neuanfang markiert.

  • Putin muss weg! Putins Worte, (Droh-)gesten und die peripheren Kriege (siehe oben)  haben seine Glaubwürdigkeit grundlegend zerstört. Seine irrationale Propaganda der letzten Wochen, die immer absurder wird, hat den allerletzten Rest seiner Redlichkeit für immer ruiniert. Das ist kein Mensch, mit dem man Verträge schließt, denn sie wären das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Bleibt zu überlegen wie? Kann die belogene und um ihre Freiheit betrogene russische Gesellschaft ihren Tyrannen abschütteln, buchstäblich entsorgen, so dass er keine Sorgen mehr bereitet? (Hilfe zum Aufstand? – dann aber anders als damals, 1917)

Gemeinsame Interessen suchen, denn derer gibt es genug:

So geht Frieden!

  • Mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ja, doch, trotzdem! Ja, ich bin so idealistisch oder naiv zu hoffen, dass die Idee vom »Wandel durch Handel« in der post-Putin Zeit wieder an Wert gewinnen wird. Wer handelt schießt nicht und Krieg kostet unermesslich viel Geld, aber Handel kann Wohlstand schaffen, wenn man es richtig macht und nicht fat-cat-Oligarchen füttert.
  • Ja, auch Nordstream-2 gehört dazu und sollte in Betrieb genommen werden, wenn – hoffentlich bald – alles vorüber ist. Die Pipeline ist fertig, das Gas wird gebraucht und die Welt wird auch nicht besser, wenn man das Projekt als Industrieruine verrosten lässt. Es kommt nur darauf an wie das Projekt betrieben werden sollte.
  • Die Krim, tolle Gegend, schön und strategisch wichtig, jeder wäre gerne dort. (Schon die Briten und Franzosen haben sich mit den Russen 1853 auf der Krim sinnlos beharkt.) Wie wäre es mit einer gemeinschaftlich verwalteten Wirtschafts- oder Freihandelszone auf der Halbinsel? Oder eine russische Militärbasis, für die Pacht an die Ukraine bezahlt wird? Oder gar eine national selbständige Krim, so wie Singapur? Mit gutem Willen auf allen Seiten, sollte sich doch eine Lösung finden lassen.
  • Kleinkram:
    • die vielen kleinen wichtigen, aber unbeachteten Projekte, Teilchenbeschleuniger, Weltraumstationen, wissenschaftliche Zusammenarbeit auf allen Ebenen, Schüler- und Studentenaustausch, alles kleine aber immens wichtige Schritte zum Frieden. Denken wir doch an die deutsche Nachkriegszeit, in der die Nachbarn uns – trotz Krieg – freundschaftlich die Hand gereicht haben.

So geht Frieden!