Atomkraft – ja Bitte?

Können Atomreaktoren wirklich »nachhaltig« sein?

Jetzt, da die EU-Kommission gerade in Betracht zieht Atomkraft als eine »grüne« Technologie einzuordnen, ist es Zeit noch einmal darüber nachzudenken, ob oder, wie  es sein kann. Ich selbst, als einer, der mal in der Uranexploration gearbeitet und auch mit den Grünen sympathisiert (hat?) bin mit meiner Meinung zur Kernenergie gespalten. 

Alte Konflikte, alte Argumente

Die Diskussion für-und-gegen Atomenergie wurde in Deutschland in den 1970er Jahren erbittert und oft gewaltsam ausgetragen, nicht selten mit den falschen Argumenten – auf beiden Seiten:

  • Die Energiewirtschaft wollte, verständlicherweise, mit Atomstrom dicke Geschäfte machen (mit einer Marktregulierung, die noch aus der Hitlerzeit stammte) und ihr wurde dazu von der Regierung und Verwaltung die Türen geöffnet, zum Teil aus kapitalistischer Gier, zum Teil aus einer Fortschrittsgläubigkeit, die heute kaum mehr nachzuvollziehen ist.
  • Die Atomkraftgegner kämpften – zum Teil zu Recht – gegen das »gefährliche Zeug«, gegen die damals neue Technologie und die ungelöste Frage der Endlagerung. Sie kämpften aber auch gleichzeitig gegen das kapitalistische System (die 68er Zeit lag noch nicht lange zurück), den Staatsapparat, den Nato-Doppelbeschluss und was nicht noch alles.

Der Ausstieg

Am Ende setzte sich die Denkweise der Atomgegner durch: Das Zeug ist gefährlich und wir wollen es nicht haben. Niemals! Den letzte Nagel in den Sarg der Atomtechnologie schlug die Bundeskanzlerin Merkel, 2011 mit ihrer Entscheidung, im Licht der Fukushima-Katastrophen alle Reaktoren in Deutschland abzuschalten. Dagegen gibt es bei unseren französischen Nachbarn im Westen nichts Neues in Sachen Atomenergie. Während ich diesen Text schreibe (Anfang 2022), sind in Frankreich noch 57 kommerziell genutzte Reaktoren in Betrieb, wohingegen in Deutschland gerade die letzten Kernreaktoren für immer vom Netz genommen werden.

Endlager – Wie lange ist »für immer«?

Genauso kontrovers ging es bei den Debatten zwischen den Atomkraftgegenern und der Industrie (flankiert von der Regierung) um die Endlagerung der gefährlich strahlenden Reaktorabfälle zu. Das Isotopengemisch hochradioaktiver Abfälle sollte so lange sicher gelagert werden, bis die Strahlung auf das Niveau der natürlichen Strahlung der Umwelt abgefallen ist. Tatsächlich dauert es zehn bis zwanzig Halbwertszeiten, bis die Aktivität auf ein sicheres Tausendstel bis Millionstel des Anfangswertes abgesunken ist. Wenn man das durchrechnet, kommt man zu Zeiträumen von mehreren zehn Millionen Jahren. Das würde länger dauern als die Auffaltung des Himalaya zurückliegt.

Trotz dieser natürlichen Gegebenheiten wollte die kommerzielle Energiewirtschaft unbedingt beweisen, dass man den Abfall sicher beseitigen kann und daher Kernenergie immer und ewig zur Verfügung stehen, und so weiterhin Gewinn erwirtschaften könne. Als Geologe und damit  »vom Fach« wusste ich schon damals, was auch die Vertreter der Industrie wussten, dass die Endlagerstätten im Salz (Asse, bei Gorleben) bzw in einem aufgelassenen Eisenerzbergwerk (»Schacht Konrad«) gar nicht für diesen Zweck geeignet sind. Und bis heute hat man auf der ganzen Welt nichts Passendes gefunden! Da die Industrie wenig Interesse daran hat, hier noch mehr Geld auszugeben, liegen die gefährlichen Abfälle auf der ganzen Welt meist unbeachtet in oberflächlichen Tanks und Trockenlagern herum, die man euphemistisch »Zwischenlager« nennt. Damit ist der Weg zur langfristigen Nutzung der Kernenergie – zunächst? – verstellt.

»Saubere Energie« – die Lösung vieler Probleme

Aber wäre es nicht schön, saubere Energie, sauberen Strom, Energie in reichlicher Menge zur Verfügung zu haben? Ein Traum, was man damit anstellen könnte: Meerwasser entsalzen, Wüsten bewässern (Lebensmittel für alle), Schiffe, die ohne Abgase über die sieben Meere schippern, Welthandel ohne schlechtes Gewissen, klimaneutraler Wasserstoff als Treibstoff für die Flugzeuge.

Verteilungsungerechtigkeit

Es gibt genug Methoden, um Energie aus Wind, Wasser, Sonnenstrahlen und Erdwärme (Geothermie) zu gewinnen. Aber wie auch immer man es betrachtet, es ist knapp und reicht – bei allem Optimismus – nicht für alle. Darüber hinaus sind die Ressourcen auch hier wieder mal ungleichmäßig über die Welt verteilt, was im günstigsten Fall den Transport von Energie bedingt, in weniger glücklichen Situationen aber Streit und vielleicht Krieg bedeuten kann. Wir hatten diese Situation schon mal mit dem Erdöl. Damals bildeten die wenigen Öl-reichen Länder ein Kartell (die OPEC) um ihren Einfluss am Markt zu bündeln.

Zeit umzudenken?

Eben deswegen denken wir, wie neuerdings die EU, wieder über Atomkraft und Kernenergie nach. Immerhin kommt – hier sind sich alle einig – dabei kein klimaschädliches Gas raus. Andererseits  ist die Technologie nicht nicht völlig beherrschbar, wie die Havarien von Three-Mile-Island, Tschernobyl und Fukushima belegen. Auch hinterlässt Gewinnung von Atomenergie ewig lange strahlenden Müll, dessen Beseitigung, wie oben schon beschrieben, bis heute nicht gelöst ist. Was also tun?

Man bräuchte einen Reaktortyp, der fail-safe ist, dessen Kettenreaktion von alleine erlischt, wenn auch nur irgendetwas schiefgeht,und der nur wenig Abfall hinterlässt. Dazu ein kleiner Ausflug in die Geschichte der Atomenergie und die verschiedenen Wege, die zu ihrer Nutzung beschritten wurden.

Geschichte und Hintergrund

Der Hauptzweck der ersten Reaktoren (z.B. Oak Ridge, Hanford, 1940s) war es, Material für Atombomben (239Pu, 235U, spaltbare Plutonium- und Uranisotope) zu gewinnen. Energie, Strom war damals eine Nebensache. Als eine Folge davon ist die Evolution der Kernreaktortypen bis in die heutige Zeit, nicht nur aus technischen, sondern auch kommerziellen Gründen, mit militärischem Denken eng verwoben

Der militärisch-industrielle Komplex und das alte Geschäftsmodell

Die meisten existierenden Reaktoren vom Westinghouse-Design (Druckwasser oder Siedewasser-Typ) sind uralte Entwürfe aus den 1950er Jahren, die mit Uran betrieben werden und gerne auch mal explodieren –  instabile Systeme, die dauernder Regulierung bedürfen. Aber man bevorzugte diesen Reaktortyp damals, da er Plutonium und spaltbares Uran erzeugen kann, das man in Massen zum Bau von Atombomben brauchte. Die wichtigsten Atombombenstaaten haben inzwischen genug Material und Bomben – weltweit werden immer noch über 13.000 Bomben gezählt. Andere Länder wie z.B. Iran oder Nordkorea (und Israel?)  betreiben Reaktoren die zur Herstellung von Bombenmaterial geeignet sein könnten.

Die Konzerne, die die Reaktoren entwarfen und betrieben, waren an allen Schritten des Brennstofkreislaufs beteiligt. Sie stellten die Brennelemente her, versuchten deren Aufbereitung zu betreiben und lieferten das Bombenmaterial, das in den abgebrannten Brennstäben entstanden war an das Militär. Damit erwirtschaften sie bis heute satte Gewinne. Von diesen Firmen, die an der Fortsetzung des status quo interessiert sind, wird man kaum bahnbrechende Innovationen erwarten können.

Die Irrwege der Vergangenheit

Im Laufe der Technikentwicklung wurden vielerlei Reaktortypen ersonnen und oft auch gebaut, wovon sich einige als technische Sackgassen herausstellten und andere schon von Anfang an als unbrauchbar oder absurd aussortiert wurden, wie z.B die Idee, Flugzeuge oder Lokomotiven (Krauss-Maffei 1950er Jahre) mit Kernenergie zu betreiben. Wiederum andere, wie Schiffsantriebe, wurden mit bescheidenem Erfolg eingesetzt oder nur für spezielle militärische Anwendungen weitergeführt.

Phönix aus der Asche

Eine anfangs vielversprechende Idee war das Brutreaktor-Konzept, das zur Energiegewinnung und gleichzeitiger Gewinnung weiteren spaltbaren Materials dienen, also seinen eigenen Brennstoff produzieren sollte. Sinnigerweise haben die Franzosen ihre Brüter Phénix genannt, nach einem Vogel aus der antiken Mythologie. Die Brüter sind technisch hoch komplex und wurden wegen dauernder Probleme beim Betrieb schnell abgeschaltet oder, wie in Deutschland (»Kalkar«), erst gar nicht in Betrieb genommen, nachdem dort etwa 3,5 Milliarden Euro verbaut worden waren. (Der Berliner Flughafen oder der Turmbau zu Babel, kommen mir in den Sinn). Das System war einfach zu komplex und viel zu gefährlich.

Die Atombombe im Industriepark

Eine besonders bedrückende Eigenschaft der Brutreaktoren ist deren Neigung, bei einer Havarie wie eine Atombombe zu explodieren und nicht wie die gängigen Leichtwasserreaktoren »einfach nur« Durchzuschmelzen, was ja auch schon schlimm genug wäre.

What’s new?

Was (noch) nicht diskutiert wurde, sind die Thoriumreaktoren, die zunächst ohne Uran auskommen. Das Element Thorium (Th) selbst zerfällt nicht und unterhält keine Kettenreaktion. Es muss daher langsamen Neutronen ausgesetzt werden, um eine Zerfallsreihe auszulösen, die letztendlich zu spaltbarem 233Uran (nicht 235) führt, welches dann die notwendige Kettenreaktion unterhält, ohne die das nukleare Feuer erlöschen würde. Thorium wird daher als produktiv (engl. fertile) bezeichnet, im Gegensatz zum 233U, das spaltbar (engl. fissile)  ist.

Besser als die alten Reaktoren

  • Der Th-U Kreislauf erzeugt nicht unbedingt Transurane (Plutonium und Elemente noch höherer Ordnungszahl), die allesamt hochgradig toxisch sind und besonders lange Zerfallszeiten haben (Halbwertszeiten in der Grössenordnung von zehn Millionen Jahren).
  • Da kein waffentaugliches Plutonium entsteht, ist die militärische Nutzung und Proliferation von bombentauglichem Material kein wesentliches Problem. Vorteile des Thorium-Uran Kreislaufs.
  • Thorium kommt in der Natur etwa vierfach häufiger vor als Uran und ist wesentlich leichter zu gewinnen. Oft ist es in Küsten- und Flusssanden (placer deposits) angereichert. In manchen Lagerstätten kommt es zusammen mit Selten-Erden-Elementen vor, die jetzt, als Beiprodukt, für moderne Elektronik dringend gebraucht werden (z.B. Neodym für Magneten und Elektromotoren).
  • Die Vorkommen von Thorium-haltigen Mineralen ist weltweit breiter gestreut, es gibt also weniger Monopolstellungen als z.B. für Uran und folglich weniger Verteilungskampf.

Am Scheideweg

Auch bei den Thoriumreaktoren gibt es zwei Grundtypen, einen der funktioniert und einen, dessen Unmöglichkeit schon bewiesen wurde.  Hochtemperaturreaktoren, HTR (der experimentelle THTR-300 in Hamm-Uentrop, NRW) und Flüssigsalzreaktoren. Beide Typen produzieren kein Plutonium, aber hochaktives 235U.

Heiße Tennisbälle

Beim Betrieb eines solchen HTR-Reaktors wird ein Haufen Tennisball-großer Brennelemente (daher der Name Kugelhaufenreaktor), die mit Graphit umhüllt sind, mit Heliumgas gekühlt. Die Abwärme geht über Wärmetauscher zur Stromgewinnung. Auch das THTR Konzept hat sich sich als technisch zu komplex erwiesen.

  • Ein gravierendes Risiko war die Gefahr eines Lufteintritts bei einer Betriebstemperatur von über 1000 °C (deswegen heisst das Ding Hochtemperaturreaktor). In diesem Falle wäre der gesamte Graphit (Entzündungstemperatur ca. 650 °C ) in Brand geraten und in Flammen aufgegangen.
  • Leckagen mit Wasserzutritt in den Kern hätten zu chemischen Reaktionen mit Graphit unter Bildung explosiver Gase geführt.

Kein Wunder, dass der einzige Reaktor des HTR-Typs in Hamm aus technischen, sicherheitstechnischen und wirtschaftlichen Überlegungen nach nur 423 Tagen Volllastbetrieb aufgegeben wurde. Der Austritt radioaktiver Gase war 1986 – nur Tage nach der Tschernobyl Katastrophe – der aktuelle Anlass für diese Entscheidung. 

Der THTR zählt zu den größten Fehlentwicklungen bei deutschen Projekten der vergangenen 55 Jahre, was sich auch damit erklärt, dass das Vorhaben als Forschungsreaktor klassifiziert war, weswegen von den etwa vier Milliarden DM Baukosten 63% vom Bund und 11% vom Land NRW getragen wurden, die den Elektrizitätswerken helfend unter die Arme griffen.

Der Thorium-MSR Reaktor

Aber es gibt es einen Reaktortyp, der sich recht gut für den Thorium-Betrieb eignet, der Flüssigsalz-Reaktor (molten salt reactor, MSR). Dieser Typ hat den fundamentalen Vorteil, einfach auszugehen, wenn etwas schiefgeht, produziert weniger radioaktiven Abfall und dann auch nur solchen mit relativ kurzer Halbwertszeit und hat auch sonst einige technische Vorteile.

Der Betrieb:

  • Das im Salz verteilte und gelöste Spaltmaterial heizt das umgebende Salz (z.B. Natrium-Fluorid) über den Schmelzpunkt auf. Geschmolzenes Salz zur Speicherung und zum Transport von Wärme ist keine neue Technologie, sondern wird auch beim Betrieb des Sonnenenergie-Kollektors Gemasolar (Spanien) erfolgreich eingesetzt.
  • Die Abwärme des Reaktors betreibt über verschiedene Stufen von Wärmetauschern wie üblich die Gerätschaften zur Stromerzeugung.

Um die Beschreibung und Diskussion nicht unnötig zu komplizieren, sei hier nur am Rande erwähnt, dass es bei den Flüssigsalz-Reaktoren noch verschiedene Sub-Typen gibt: Solche die einen zweiten Kühlkreislauf haben (ein anderes geschmolzenes Salz oder Blei) und auch solche, die mit schnellen Neutronen Plutonium »erbrüten« könnten, was aber eigentlich nicht wünschenswert ist.

Der MSR- Reaktortyp hat verschiedene Vorteile:

  • Das flüssige Salz macht es möglich, während des laufenden Betriebes Abfallprodukte aus dem Reaktor zu entnehmen (besonders 135Xenon, das die Kettenreaktion stark bremst)  und diesen mit neuem Material zu beschicken. Unproduktive Pausen wie sonst alle 18 Monate zum Austausch der Brennelemente könnten wegfallen.
  • Die Reaktoren werden unter normalem Druck oder leichtem Überdruck (bis 4 bar) betrieben, Sicherheitsbehälter (containment) können daher einfacher dimensioniert werden, was einen Kostenvorteil darstellt, ohne die Sicherheit zu kompromittieren.
  • Flüssigsalz-Reaktoren werden bei wesentlich höheren Temperaturen  als Druckwasserreaktoren betrieben (etwa im Bereich von 550–850 °C), was die thermische Effizienz beträchtlich erhöht, ohne dabei hohe Drücke (wir beim THTR oder bei traditionellen Druckwasserreaktoren) beherrschen zu müssen.
  • Die Turbinen haben bei diesen Temperaturen einen höheren Wirkungsgrad, erzeugen also mehr Strom aus der gleichen Menge Hitze.
  • Das flüssige Salz reagiert nicht vehement mit Luft (wie Graphit) oder Wasser (wie Natrium), Leckagen während des Betriebes sind daher relativ harmlos.
  • Ein negativer Temperaturkoeffizient der Reaktivität, das bedeutet, dass – ganz im Gegensatz zu den Wasser-Reaktoren – die Effizienz der Kettenreaktion mit steigender Temperatur abnimmt. Kurz: Wenn das Ding zu heiß  wird, dann regelt es sich selbst runter. Fail safe! Das Gegenteil dieses Phänomens und das Versagen der Nachwärmeabfuhr führte in Tschernobyl letztendlich zu der fatalen Explosion und zum Totalausfall der Anlage.
  • Das Sicherheitsventil: Im Normalbetrieb wird am Boden des Reaktorgefässes ein Abflussrohr aktiv bis unter den Schmelzpunkt des Salzes gekühlt, das Salz erstarrt und blockiert den Abfluss. Sollte irgendein Fehler auftreten, entfällt die Kühlung und »die ganze Pampe läuft unten raus«, wird sub-kritisch, und kühlt aus. Die Auffangbehälter sind so dimensioniert, dass keine Kettenreaktion mehr stattfinden kann. Der Ofen ist aus.
  • Die teure mechanische Herstellung der Brennelemente als Präzisionsprodukte entfällt und trägt zur Kostenreduktion bei.
  • Ausbeute und Abbrand: Die Flüssigsalz-Reaktoren gehen mit dem Betriebsstoff sparsamer um. Bei den alten wassergekühlten Uran-Reaktoren müssen die Brennstäbe ausgewechselt werden, sobald die Pellets darin wegen der in ihnen enthaltenen Spaltprodukte beginnen aufzuquellen und drohen, die Metallhülle der Brennstäbe zum Bersten zu bringen. Zu dieser Zeit sind nicht einmal 10% des spaltbaren Urans verbraucht. Die Folge sind große Volumina von radioaktivem Material, das aufgearbeitet werden muss. Anders bei den MSR-Reaktoren, wo Abfallprodukte kontinuierlich abgeführt werden und neues Brennmaterial kontinuierlich zugeführt wird.
  • Die relativ hohen Betriebstemperaturen erlauben, die entstehende Wärme auch für andere Zwecke, z.B. Prozesswärme für die chemische Industrie, (Ölraffinerie, Dünger, Meerwasser-Entsalzung, usw.) abzuzweigen, anstatt für diese Prozesse Energie fossilen Ursprungs zu verheizen.

Natürlich gibt es auch beim Flüssigsalz-Reaktor Risiken und technische Schwierigkeiten. Das Hauptproblem ist der Mangel an experimenteller Erfahrung mit diesem Typ:

  • Bauteile, besonders Pumpen, Ventile und Rohre, die über einen weiten Temperaturbereich zuverlässig funktionieren, heizbar sind und auch bei kaltem, festen Salz nicht kaputtgehen.
  • Die chemische Verfahrenstechnik, um Abfallprodukte aus dem Salz zu entfernen, ist komplex und weitgehend technisches Neuland.
    • Gleichzeitig sind einige dieser chemischen Abfallprodukte wertvolle Rohstoffe für andere Zwecke, die mit anderen Methoden kaum darzustellen sind (z.B. bestimmte Isotope für die Krebstherapie, usw.)
  • Das Verhalten den verbauten Materialien ist im Allgemeinen fast unbekannt , wie z.B. das Einwirken von entstandenem Tellur (Te) auf gewisse Stahllegierungen, so wie die Versprödung von Reaktorstahl durch Neutronenbeschuss auch erst beim Betrieb der ersten Druckwasserreaktoren bekannt wurde.
  • Das Innere des Reaktors (nicht aber die Endprodukte) strahlt mit höherer Energie als vergleichsweise Druckwasserreaktoren. Daher werden allerlei Fernbedienungselemente gebraucht, die ihrerseits eine weitere Fehlerquelle darstellen können.
  • Auch bei diesem Reaktortyp ist das Problem der Endlagerung radioaktiven Abfalls noch ungelöst. Es wird jedoch in verschiedenen Quellen behauptet, dass das Volumen des Abfalls wesentlich geringer ist als bei den Leichtwasserreaktoren und auch die Halbwertszeit wesentlich kürzer sein soll (im Bereich von einigen hundert Jahren).
  • Nicht-technische Widerstände der Industrie, der daran gelegen ist, den status quo mit den derzeitigen Reaktortypen zu erhalten, weil sie damit und mit den benötigten Brennelementen ihr Geschäftsmodell perpetuieren.

Neutral:

  • Fortgeschrittene Entwürfe gehen von einer modularen Bauweise aus, wobei die Module in Serie an einem zentralen Ort, z.B. einer Werft) gebaut werden, was Kosten spart. Die Module sind leicht zu transportieren und können auch auf einem Schiff oder Ponton montiert und dort betrieben werden. (Eine ähnliche Bauweise, allerdings mit konventionellen Reaktoren, ist in Russland schon im Einsatz, um entlegene Gebiete mit Energie zu versorgen.)
  • Dabei ist vorgesehen, den ganzen Reaktorkörper (the can) mitsamt dem enthaltenen Salz alle vier oder fünf Jahre auszutauschen, um die Aufbereitung der radioaktiven Zerfallsprodukte an einem zentralen Ort vorzunehmen. Das hat wirtschaftliche Vorteile, birgt aber das Transportrisiko von strahlendem Material und trägt möglicherweise auch zu einer Abhängigkeit von einem einzigen Hersteller bei.

Interessen, Macht und die Zukunft

Ein wesentliches Problem des Thorium- MSR-Reaktortyps ist, dass es (außer einem uralten Forschungsreaktor aus den 1950ern in den USA) kaum Erfahrung mit einem Th-Flüssigsalzreaktor gibt und ‒ das ist das Hauptproblem ‒ keine Institution zur Zeit bereit ist, so ein Ding wenigstens zum experimentellen Betrieb zu zertifizieren. Das Thema ist nicht populär, in Deutschland – aus eingangs beschriebenen Gründen –  schon gar nicht.

Alte Wirtschaftsstrukturen

Dazu kommen noch rechtliche Probleme mit der Typenlizenzierung, die die Kommerzialisierung der alten Leichtwasser-Reaktortypen bevorzugt und andere Bautypen benachteiligt.

Es ist daher nicht überraschend, dass die Diskussion für und gegen Thorium-MSR-Anlagen in den Medien und den entsprechenden Foren, besonders von Seiten der Industrie, mit aller Härte geführt wird, so wie man es erwartet kann, wenn es um viel Geld geht.

China bald marktbeherrschend?

Dessen ungeachtet wird in China, das wieder einmal technisch zukunftsgewandt arbeitet, gerade so ein MSR-Thorium-Ding gebaut. Manche Quellen sprechen sogar von vier solchen Reaktoren, die im Bau sein sollen. Wahrscheinlich wird China das dann, wenn dort ein serienfertiges Modell entwickelt wurde, in alle Welt lizenzieren und verkaufen und damit den technisch-wirtschaftichen Vorsprung noch weiter ausbauen ‒ und die sogenannten Technologienationen werden dann recht dumm dreinschauen (so wie mit den 5G-Komponenten, bei denen Huawei ein quasi-Monopol hält).

Fazit

Die Entwicklung der Atomenergie ist in den letzten siebzig oder achtzig Jahren viele Irrwege gegangen. Aber jetzt ist die Zeit des Experimentierens vorbei und die Entwicklung kann sich auf die wenigen aussichtsreichen Typen konzentrieren, wobei die Betriebssicherheit selbstverständlich das fundamentale Designkriterium sein muss. Man würde heutzutage ja auch kein Auto, das in den 1950er Jahren entwickelt wurde, als sicher und effizient betrachten.

Militärische Nutzung zur Produktion von Atombombenmaterial kann heutzutage ganz wegfallen.

Ich spreche mich hier weder für noch gegen Atomenergie aus, aber ich bin so optimistisch vorzuschlagen, bestimmte aussichtsreiche Reaktortypen noch einmal im Licht moderner Technik, mit der jahrzehntelangen Betriebserfahrung von anderen Reaktortypen, dem heutigen Erkenntnisstand der Wissenschaft, und – ganz besonders – ohne die emotionalen Argumente aus den 1970er Jahren zu betrachten.
Die Notwendigkeit von genug sauberer Energie, mit der man so viel Nützliches zur Rettung unseres kranken Planeten anstellen könnte, ist einfach zu groß, um nicht wirklich alle Möglichkeiten zu bedenken.